Das Holländische Modell - Buurtzorg

Niederländische Nachbarschaftshilfe

“Buurtzorg” bedeutet auf Deutsch übersetzt Nachbarschaftshilfe. In Holland werden Pflegefachkräfte für den Einsatz in ihrer Nachbarschaft ausgebildet. Buurtzorg ist ein ambulanter Krankenpflegedienst, der inzwischen stolze 10.000 Mitarbeiter:innen zählt. Im Jahr 2007 hatte der Dienst mit gerade vier Pflegefachkräften und einer Idee begonnen.

Die Idee ist so genial wie einfach: gib den berufenen Gemeindeschwestern ihre Berufung zurück und schau, dass alle Rahmenbedingungen erfüllt sind, dass das, was sie am Besten können und lieben tun dürfen. Wenn sie nämlich mit ihrer Arbeit glücklich sind, sind es auch die Patienten, deren Familien und Angehörige.

Eine Schubumkehr ist möglich

Das niederländische Pflegeleistungs- und Abrechnungssytem war genau so zerfasert und wenig effektiv wie aktuell das Deutsche. Pflegefachkräfte waren genau so ausgebrannt und in ihrem ursprünglichen Idealismus aufgerieben wie bei uns. Belgien hat sein Modell schon und auch Japan, China, Singapur, Thailand, Australien USA und das Vereinigte Königreich zeigen Interesse. In Deutschland gibt es gerade einmal drei ambulante Pflegedienste, die nach diesem Modell funktionieren.

Bei Buurtzorg soll der Patient im Mittelpunkt stehen. Das Ziel ist: Wahrung der Eigenständigkeit und Unterstützung der Unabhängigkeit je nach Möglichkeit auch von der Pflege. Der erste Schritt ist dabei die Beratung und Begleitung der Patienten dahingehend, wie sie selbst dazu beitragen können, ihre Unabhängigkeit zu erhalten oder wieder zu erlangen. Eine qualifizierte und dokumentierte Pflegeplanung ist hierbei selbstverständlich und unerlässlich. Der zweite Schritt ist der Aufbau eines informellen Netzwerkes bestehend aus Familienangehörigen oder Nachbar:innen und Freunden. Es kommt oft vor, dass sie erfolgreich in die tägliche Betreuung mit einbezogen werden. Die dritte Ebene der Betreuung umfasst die tatsächlichen pflegefachlichen Tätigkeiten, die vom zuständigen Buurtzorg-Team geleistet werden. Als vierter Schritt erfolgt der Aufbau, die Pflege und die Koordination eines stabilen verlässlichen formalen Netzwerkes bestehend aus Hausarzt, Spezialisten (z.B. Physiotherapeuten), Apotheke, Krankenhaus, und anderen lokalen und überregionalen Diensten (z.B. Dialyse), die Patient:innen in Anspruch nehmen.

Kurze Wege, bekannte Gesichter

Für die zu Pflegenden gilt: So wenig Gesichter wie möglich, maximal zwei Pflegekräfte für alle Aktivitäte mit einer Erreichbarkeit rund um die Uhr. Die Pflegeteams kennen die Patienten und Pflegetouren in ihrem Einzugsgebiet und können sich gegenseitig vertreten. Die Teams arbeiten im Kiez und pflegen im Wesentlichen Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden, chronisch Kranke, Demente, alte pflegebedürftige Menschen, aber auch palliative Patienten in der letzten Lebensphase. Sie betreuen aber auch Familien, psychisch Kranke und junge Menschen. Diese Herangehensweise erfordert am Anfang eines Einsatzes bei neuen Klienten etwas mehr Aufwand. Im Verlauf der Zeit, wenn die Tragfähigkeit des Netzwerks greift, steigt die Zufriedenheit der Klienten, weil sie sich zunehmend sicherer aufgehoben fühlen, die Pflegefachkraft fühlt sich auch entlastet und auch die reine Pflegezeit kann sich im späteren Verlauf verringern.

Titel: Stabile Rahmenbedingungen © Florian Kiel

Titel: Stabile Rahmenbedingungen © Florian Kiel

Unsere Einschätzung

  • Wir mögen Buurtzorg alleine schon deswegen, weil mit der Initiative eine wirkliche Veränderung des Pflegeverständnisses in den Niederlanden einherging. Das zeigt uns für Deutschland ebensolche Möglichkeiten auf, nämlich eine flächendeckende QuartierPflege.

  • Buurtzorg baut auf kurzen Wegen und vertrauten Gesichtern auf. Das ist genau unser Ansatz, da Sorge & Pflege dann wieder als soziale Arbeit funktionieren kann.

  • In Erweiterung des Buurtzorg-Modells möchten wir es nicht den einzelnen Pfleger:innen überlassen, Angehörige, Freunde und Nachbar:innen einzubeziehen. Wir möchten stabile Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Nachbarschaft in jedem Fall aktiv unterstützt. Der Fachkräftemangel ist unsere Antriebsfeder. Deshalb setzen wir auf Fall-Management, Schulungen und (monetäre) Wertschätzung.

  • Zudem sehen wir neben Kommunen gerade auch Wohnungsbaugesellschaften und Bau- und Wohnungsgenossenschaften als direkte Ansprechpartner für die QuartierPflege. Sie sind ideale Partner:innen vor Ort, um stabile Netzwerke zu managen.

Die Menschen betteln, um auf Toilette gehen zu dürfen

Sorge und Mitverantwortung in der Kommune