Vom Mut den eigenen Weg zu gehen

Grazil und kraftvoll

Schule, Studium, Beruf. Für viele von uns ist das ein selbstverständlicher Werdegang, der nicht weiter hinterfragt wird. Doch warum sollte dieser eine Weg für alle der richtige sein? Wieso sind unsere Ausbildungswege nicht so vielfältig wie unsere Lebenswege? Matti Pannenbäcker hat sich seinen Weg selbst gesucht und bewusst auf ein Studium verzichtet. Stattdessen gründete der heute 23 Jährige ein Sozialunternehmen, berät Organisationen in Veränderungsprozessen und arbeitet daran, den Wert von Lebensmitteln erlebbar zu machen.

Aufgewachsen in einer Mittelschichts-Familie schien mein Bildungsweg vorbestimmt. In unserem Münchner Vorort war die Welt noch in Ordnung. Wie die meisten meiner Freunde, wechselte ich nach der Grundschule wie selbstverständlich aufs Gymnasium. Und da uns unsere Eltern auf einen globalisierten Arbeitsmarkt vorbereiteten, war das Studium Mindestbedingung zum Erfolg. Besser noch mehrere Fremdsprachen, Auslandserfahrung und Praktika in renommierten Unternehmen. Nur eines hat niemand für die Kinder getan: Ehrlich zu überlegen, ob der vorgezeichnete Weg auch der richtige für uns war. Genauso wenig wurde darüber nachgedacht, ob der damit einhergehende Leistungs- und Erfolgsdruck ein zu hoher Preis für ein oft zweifelhaftes Ziel ist. Mich interessiert die Entwicklung von Menschen, die schon früh dazu ermutigt wurden, ihren eigenen Weg zu gehen.

So treffe ich Matti Pannenbäcker mitten in der Natur am Lüneburger Stadtrand. Auch er kommt aus gut situierten Verhältnissen. Aufgewachsen in einem liebevollen Elternhaus, besucht Matti zunächst das Gymnasium in Eutin, einer Kleinstadt in der Holsteinischen Schweiz. Doch in der 9. Klasse sollte ihn ein Schüleraustausch nach Litauen nachhaltig prägen. Matti erlebt, wie die Menschen täglich von der Armut und der Perspektivlosigkeit herausgefordert werden. Ihm wird klar, dass er sich in einer Parallelwelt bewegt. In einer Glocke, die Sicherheit verspricht.

Geprägt von den Erfahrungen des Schüleraustauschs möchte Matti aus dieser Welt ausbrechen und sich mit anderen Themen beschäftigen, als die, die am Gymnasium unterrichtet werden. Es folgt der Wechsel auf die Realschule, da er so mehr Zeit hat sich mit Politik, Nachhaltigkeit und Unternehmertum zu befassen. Er liest viel, besucht Konferenzen und kommt in den Austausch mit Unternehmern, die im Elternhaus ein- und ausgehen. Letztlich wird sich Matti bewusst, dass er sein Leben in die Hand nehmen und selbst über seinen Ausbildungsweg entscheiden will.

Während des Abiturs an einem Wirtschaftsgymnasium, das er nach der Realschule besucht, entscheidet sich Matti für das Studium. Nur eben nicht an einer Universität. Die Idee: Er will sich die Zeit, die andere an der Hochschule verbringen, als Lern- und vor allem Entwicklungszeit nehmen. So zieht es ihn nach seinem Abitur zunächst in die Schweiz. Im Rahmen eines viermonatigen Praktikums in einem mittelständischen Familienunternehmen bekommt er die Möglichkeit, selbstverantwortlich ein Nachhaltigkeitskonzept zu erstellen und dem Vorstand entsprechende Maßnahmen vorzuschlagen. Hier wird ihm klar, dass er selbstbestimmt arbeiten und am liebsten ein eigenes Unternehmen gründen möchte.

Gesagt, getan. Sechs Monate später gründet er zusammen mit seinem Bruder Jan GOODwear, einen Onlinehandel für nachhaltige Kleidung. Dabei geht es ihnen nicht primär um den geschäftlichen Erfolg, sondern vor allem um die Lernerfahrung. Schnell sehen sie sich mit komplexen und vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert. Matti lernt, wie wichtig systematisches und analytisches Arbeiten ist und welchen Stellenwert das Geschäftsmodell für den Erfolg der Unternehmung hat. Nach drei Jahren Aufbau des Online-Shops verkaufen sie GOODwear, um neue Erfahrungen sammeln zu können. Nebenbei fokussiert Matti auf seine Selbstständigkeit: Er begleitet ein generationsübergreifendes Wohnprojekt, hilft dabei einen Demeter-Hof betriebswirtschaftlich aufzugleisen und unterstützt einen Mittelständler bei einem umfangreichen Restrukturierungsprozess.

An Matti’s Beispiel zeigt sich, wie man auch außerhalb unserer Ausbildungs-Konventionen wertvolle Erfahrungen sammeln, sich Wissen aneignen und persönlich weiterentwickeln kann. Doch was hat ihn diesen individuellen Weg gehen lassen? War es wirklich nur das Erlebnis in Litauen? Hier wird Matti nachdenklich und verweist auf die Rolle eines stets unterstützenden Elternhauses. Doch letztlich, so sagt er, sei der Wille und die Kraft zur Veränderung entscheidend. So wurde er schon früh von seinem Umfeld darin unterstützt, bewusst wahrzunehmen, was ihm wichtig ist, und dazu ermutigt, seinen eigenen Weg zu gehen.

Das ist auch der Grund, warum ich Matti heute auch am Rande eines Feldes treffe. An einem Ort wie diesem möchte er mit seinem Team die nächste Idee verwirklichen: Gemeinsam mit vielen Lüneburgern wollen sie eine eigene Gemüsegärtnerei gründen. In der Stadt und genossenschaftlich organisiert sollen gesunde Nahrungsmittel erzeugt und der Anbau zum Erlebnis gemacht werden. Jeder im Team hat seine eigenen Beweggründe, das neue Projekt voranzutreiben. Matti möchte damit vor allem seinem Traum verwirklichen, mit und in der Natur zu arbeiten. Und gleichzeitig zeigt er damit, wie ein ganz individueller Ausbildungsweg aussehen kann.

 

Bildquelle: © Florian Kiel

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