Sei die Veränderung in Dir selbst

Elisabeth Hahnke ist davon überzeugt, dass gesellschaftlicher Wandel erst durch einen Perspektivwechsel beim Einzelnen möglich wird. Davon angetrieben hat die Sozialunternehmerin das größte deutsche Mentoring-Programm für Hauptschüler ins Leben gerufen. Ihre Geschichte ist vom Anderssein, vom Erfolg aber auch vom Scheitern geprägt. Mich interessiert, was ihr die Kraft gibt, trotz Höhen und Tiefen, in sich zu ruhen und mit Leidenschaft ihren Überzeugungen zu folgen.

neu und alt

Trotz einer behüteten Kindheit, spürte Elisabeth sehr früh, dass sie irgendwie anders war. So bewegte sie sich oft in ihrer eigenen Welt und wollte sich nicht so recht auf das einlassen, was von Gleichaltrigen und in der Schule von ihr erwartet wurde. Dass jedoch ihr größtes Schlüsselerlebnis ein akademisches sein würde, findet auch Elisabeth ein wenig merkwürdig.

Zum Wendepunkt wurde eine Einführungsveranstaltung zum Konstruktivismus während ihres Bachelor-Studiums in Magdeburg. Hier lernte sie, dass die Welt vom Betrachter durch sein individuelles Erleben konstruiert wird. Endlich versteht Elisabeth, dass es nicht nur die eine Wirklichkeit gibt, die sie so anders als die anderen wahrnimmt. Vielmehr erschafft sich jeder seine eigene Realität. Diese Erkenntnis lässt Elisabeth aufleben. Sie begreift sie als Erlaubnis, sich nicht mehr verstellen zu müssen, um der Norm zu entsprechen. Was für eine Erleichterung! Denn endlich kann sie sich auch nach außen so geben, wie sie sich innerlich fühlt. Und gleichzeitig begreift sie, dass sie großen Einfluss darauf hat, wie ihre Welt aussehen kann.

Angeregt von diesem Perspektivwechsel initiiert sie Integrationsprojekte. Unter anderem motiviert sie Schüler einer Brennpunktschule zu gemeinsamen Aktivitäten mit Asylbewerbern. Nach anfänglich starker Ablehnung sind die Schüler am Ende vom Projekt begeistert. Elisabeth erlebt was Konstruktivismus in der Praxis bedeuten kann: Die Jugendlichen mussten erst mal ihre Wahrnehmung von Flüchtlingen ändern, bevor sie sich auf sie einlassen konnten. So reift in ihr die Überzeugung, dass gesellschaftlicher Wandel in vielen Fällen erst über die Änderung der eigenen Einstellung möglich werden kann.

Für ihren Master wechselt sie auf die Zeppelin Universität nach Friedrichshafen. Zum ersten Mal trifft sie Kommilitonen, die ähnlich verrückt sind, wie sie selbst. Ein Professor erkennt ihr Potential und motiviert sie bei einem Projektwettbewerb der Uni teilzunehmen, den sie, gemeinsam mit einer Freundin, mit einem Konzept zur Potentialentfaltung bei Hauptschülern gewinnt. Zur gleichen Zeit kommt Peer Steinbrück an die Uni, um mit den Studierenden über Bildungsgerechtigkeit zu diskutieren. Die Studenten vereinbaren mit ihm, ein Konzept zu entwickeln, wie sie das Problem von unten angehen wollen – also vor Ort, in den Schulen.

Inspiriert von diesen beiden Gelegenheiten schließt sich Elisabeth mit ihren Kommilitonen zusammen und ruft gemeinsam mit ihnen Rock Your Life ins Leben, ein Mentoring-Programm zwischen Hauptschülern und Studierenden. 2009 starten sie in Friedrichshafen mit 3 Schulen und 80 Mentoring-Beziehungen. Es folgt ein rasanter Aufstieg. Sie gewinnen weitere Wettbewerbe und können sich mit Hilfe der Preisgelder und Spenden Vollzeit auf das Projekt konzentrieren. Hierfür legt Elisabeth die inzwischen begonnene Promotion auf Eis. Heute hat Rock Your Life bereits über 3.000 Patenschaften an 44 Standorten in Deutschland wie in der Schweiz vermittelt und betreut.

Doch Elisabeth reicht das nicht. Sie träumt davon nicht nur einzelne Mentoring-Beziehungen außerhalb des Klassenzimmers anzubieten. Vielmehr möchte sie in Potentialentfaltungskursen mit allen Schülern einer Klasse darüber nachdenken, was ihnen wirklich wichtig ist und wohin sie sich entwickeln möchten. Finanziert werden, sollen die Kurse von Ausbildungsbetrieben, Stiftungen und der öffentlichen Hand. Die Idee der Rock Your Life Akademie ist geboren. Das Projekt beginnt ähnlich vielversprechend wie das Mentoring-Programm. Elisabeth, die in der Zwischenzeit viel Erfahrung als Trainerin und Coach gesammelt hat, und ein zweiter Mitgründer von Rock Your Life schließen sich 2013 mit einem weiteren Mentoring-Programm zusammen. Gemeinsam können sie einen Investor überzeugen, die ersten zwei Jahre der Akademie zu finanzieren.

In der Anfangsphase konzentriert sich Elisabeth darauf, das Konzept auszuarbeiten und die ersten 40 Trainer für die Kurse an den Schulen auszubilden. Doch die Vertriebsstruktur kommt nicht ans Laufen. Nach fast einem Jahr haben sie immer noch keine Unternehmen gewonnen, die das Projekt mitfinanzieren. Auch die erhoffte öffentliche Förderung bleibt aus. Jeder Monat kostet weiter Geld, alle werden zunehmend unruhig. Nach personellen Veränderungen im Team und mehreren Rettungsversuchen wird die Unternehmung Anfang diesen Jahres schließlich beendet.

Doch Elisabeth, der es nicht nur um den Aufbau eines Unternehmens, sondern vor allem um die Potentialentfaltung bei Jugendlichen geht, lässt sich von diesem Rückschlag nicht demotivieren. Sie macht selbstständig weiter. Einen Monat später kann die heute 30-Jährige eine Stiftung von ihren Potentialentfaltungsseminaren begeistern und führt die Kurse nun in Kooperation mit der Agentur für Arbeit an bayerischen Gymnasien unter dem Namen ‚Bildungsrocker‘ durch. So lässt sie den Geist der Akademie in neuer Form weiterleben. Und konsequenterweise kehrt damit das Programm auch wieder unter das Dach der Rock Your Life gGmbH zurück.

Im Gespräch mit Elisabeth konnte ich viel über den Wert und die Schönheit des Andersseins lernen. Man merkt sofort, dass ihr Antrieb und ihre Freude in einer tiefen Verbundenheit mit ihrer Vision verwurzelt sind. So lässt sich auch Ihr Umgang mit dem Erfolg bei Rock Your Life und vor allem auch mit dem Scheitern der Akademie erklären. Natürlich hat die Abwicklung der Akademie eine Narbe hinterlassen. Doch gleichzeitig hat der Einschnitt die Erfahrung wachsen lassen und ihren Blick für das Wesentliche geschärft. Denn letztlich ist für Elisabeth unternehmerischer Erfolg nur Mittel zum Zweck, um die Begleitung von Menschen beim persönlichen Wandel zu ermöglichen.

Und so möchte Elisabeth dazu ermutigen, sich mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Denn sie bringen uns oftmals dazu, eher die Erwartungen anderer zu erfüllen, als unseren eigenen Weg zu gehen. Elisabeth ist überzeugt, dass jede Veränderung ihren Anfang mit der Justierung der eigenen Wahrnehmung nimmt. Ich beginne zu verstehen, was sie sagen will. Als erstes sollten wir versuchen unsere Barrieren im Kopf zu lösen. Denn diese begrenzen unsere Wahrnehmung der Welt und damit auch die Vielfalt unserer Möglichkeiten. Hiernach gilt es zu verstehen, was wir wirklich wollen, um dann diesen Weg mutig zu verfolgen. Letztlich können wir selbst also – ganz im Sinne Gandhis – die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen. Jedoch nurwenn wir an unsere Potentiale glauben.

 

Bildquelle: © Florian Kiel

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