QuartierPflege Landsberg

Hintergrund und Problemlage

Die demografische Entwicklung führt im gesamten Landkreis und auch in der Stadt Landsberg am Lech zu einer zunehmenden Überalterung. Damit einhergehend steigt der Unterstützungs- und Pflegebedarf in der Bevölkerung an. Gleichzeitig fehlt das Pflegepersonal, um die Bedarfe zu decken. Diese Lücke wird weder durch die Gewinnung neuer Pflegender (auch nicht aus dem Ausland), noch durch Steigerung der Ausbildungskapazitäten geschlossen werden können. Ebenso kann der Anteil der Angehörigenpflege (Versorgung alleine durch Angehörige oder gemeinsam mit einem Pflegedienst) auf Grund gestiegener beruflicher Mobilität und zunehmenden Singularisierungstendenzen nicht weiter ausgebaut werden.

Bei ambulanten Pflegediensten ist mit teilweise mehrwöchigen Wartezeiten zu rechnen, bis eine Versorgung möglich ist, eine schnelle Akutversorgung ist schon heute oftmals nicht mehr möglich – für Betroffene und Angehörige eine extrem belastende Situation.

Im stationären Bereich stehen Betten aufgrund des Pflegepersonenmangels leer (im gesamten Landkreis ca. 10% der zur Verfügung stehenden Betten), während gleichzeitig Wartelisten mit bis zu 100 Personen vorliegen. D.h., dass Menschen mit Pflegebedarf teilweise in bis zu 100km entfernt gelegenen Pflegeheimen untergebracht werden müssen, wenn die Versorgung zuhause nicht mehr leistbar ist. Soziale Kontakte brechen damit weg und auch Besuche durch An- und Zugehörige sind nicht in der Intensität möglich, wie sie von den Beteiligten gewünscht wären.

Die Situation bringt aber auch die Anbieter in schwierige wirtschaftliche Verhältnisse. Im stationären Bereich ist es fraglich, wie lange – insbesondere private Träger – ein entsprechendes Defizit tragen können und wollen. Und auch bei anderen Anbietern sind die wirtschaftlichen Belastungsgrenzen irgendwann erreicht, wenn längerfristig keine Vollauslastung möglich ist. Bei den ambulanten Diensten ist die Situation vergleichbar: während die Betriebskosten kontinuierlich ansteigen, brechen Einnahmen aufgrund von fehlendem Pflegepersonal weg, zum Teil müssen ganze Touren eingestellt werden. In einer Umfrage im ersten Quartal 2023 äußerten mehrere ambulante Pflegedienste, dass die wirtschaftliche Existenz nicht mehr sichergestellt ist.

Fazit

QuartierPflege leistet einen Beitrag zur Sicherstellung der kommunalen pflegerischen Grundversorgung in Zeiten eines sich abzeichnenden Notstandes. Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern wird durch den kleinräumigen Bezug, die Begleitung durch das professionelle Fallmanagement sowie die Entlohnung der Tätigkeiten gewährleistet. Gleichzeitig ermöglicht das Konzept Teilhabechancen und erhöht das Einkommen im Quartier. Nach einer Anlaufphase von drei bis fünf Jahren soll sich das Konzept von selbst tragen, d.h. die Personalkosten werden aus Mitteln der Pflegeversicherung refinanziert. Somit kann ein aktiver Beitrag zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und zum Verbleib älterer Menschen in der gewohnten Umgebung geleistet werden.

Lösungsansatz

Es kann als gesichert angesehen werden, dass die Versorgung künftig kleinräumig organisiert werden muss. Über die sogenannten sorgenden Gemeinschaften kann es gelingen, die Bürger*innen in einem Quartier zu mobilisieren und auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus und Stufen des Engagements aktiv einzubinden.

“Mit dem Konzept der QuartierPflege liegt der einzig bekannte Lösungsansatz vor, mit dem der Aufbau sorgender Gemeinschaften unterstützt und zudem in eine finanzierbare Struktur übertragen wird” - so der Referent für das Seniorenpolitisches Gesamtkonzept im Landkreis Landsberg.

Im Kern handelt es sich hierbei um einen ambulanten Pflegedienst aus Nachbarinnen und Nachbarn sowie Angehörigen, die in Teilzeit oder Vollzeit angestellt sind und aus Mitteln der Pflegeversicherung (Pflegesachleistung ambulant) bezahlt werden. Professionelle ambulante Dienste bleiben weiterhin bestehen und können ihre Personalkapazitäten für die Tätigkeiten einsetzen, die besondere Fachkenntnisse erfordern (z.B. komplexe Grundpflege oder Maßnahmen der Behandlungspflege). Als Ziel soll ein Netzwerk aus drei bis sechs festen Nachbarinnen pro Fall entstehen, wodurch die Angehörigen und Menschen mit Pflege-/Unterstützungsbedarf entlastet werden. Die Nachbar*innen werden dabei durch hauptamtliches Personal koordiniert (sogenannte Fallmanager), professionelle Pflegende werden dort hinzugezogen, wo es nötig ist.

Für den Erfolg der Umsetzung ist der kleinräumige Bezug bedeutsam. Ein intimer Quartiersbezug mit ca. 1.500 Bewohnerinnen und Bewohnern schafft Vertrauen und ermöglicht den Aufbau strategischer Kooperationen im Quartier (ambulante Pflegedienste, Apotheker, Ärzte, Nachbarschaftshilfe, ...). Ebenso besteht ein erprobtes modulares Schulungskonzept, über das eine tätigkeitsbezogene Qualifizierung möglich ist (z.B. Einkaufshilfe, Betreuungsleistung, einfache grundpflegerische Versorgung).

Die Leistungen werden über die bestehenden Leistungskomplexe der Pflegeversicherung abgerechnet, wodurch die Gehälter der Nachbarinnen und Nachbarn sowie des Fallmanagements finanziert werden. Gleichzeitig können Kosten reduziert werden, da lange Wege entfallen und ein Fuhrpark weitestgehend nicht notwendig ist.

Nutzen für Bürger*innen ohne Pflegegrad

Als Hauptzielgruppe für das Konzept QuartierPflege sind Menschen mit Pflegebedarf im Sinne der Pflegeversicherung zu betrachten. Menschen mit Unterstützungs- aber ohne Pflegebedarf können dennoch von dem Konzept profitieren. Zwar müssen sie mögliche Leistungen, wie auch jetzt schon, als Selbstzahler übernehmen, da sie keinen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung haben. Sie profitieren jedoch von einem Ausbau der vorhandenen Strukturen und Angebote.

Häufig tritt noch vor einem möglichen Pflegebedarf ein Unterstützungsbedarf im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen auf. Die Anbieter in diesem Bereich sind oftmals stark nachgefragt, so dass eine Inanspruchnahme teilweise nicht zeitnah möglich ist. Eine selbstorganisierte Haushaltshilfe (Anstellung auf Minijob-Basis) ist dabei für viele Menschen mit Unterstützungsbedarf nicht organisierbar. Durch das Konzept QuartierPflege können die notwendigen Strukturen ausgebaut und Menschen für diese Tätigkeiten gewonnen werden, wodurch die Möglichkeit der Inanspruchnahme steigt.


Umsetzung im Ortsteil Erpfting

Der Ortsteil Erpfting hat für die Umsetzung dieses Projektes ideale Voraussetzungen aufgrund der vorhandenen Strukturen mit dem Seniorenmanagement, der Nachbarschaftshilfe und der erst kürzlich in Erpfting ausgebildeten Alltagsbegleiter*innen.
Er eignet sich daher sehr gut für das Pilotprojekt.

Zwischen dem Seniorenmanagement und dem Fallmanagement bestehen teilweise enge Schnittstellen. Im Rahmen der QuartierPflege sollen auch Strukturen gestaltet werden, ebenso wie beim Seniorenmanagement. Genauso leistet das Seniorenmanagement jetzt schon "Einzelfallhilfe" (Beratung, Vermittlung von Unterstützungsangeboten oder Helferinnen/Helfern), also Anteile aus dem Fallmanagement. Diese Schnittmengen können definiert und als Tätigkeit des Fallmanagements über die Pflegeversicherung refinanziert werden.

In der ARD-Mediathek finden Sie einen Beitrag zur QuartierPflege in Erpfting.

Beschluss des Landkreises

Auf Empfehlung des Senioren- und Sozialpolitischen Ausschusses des Landkreises Landsberg am Lech beschloss der Kreisausschuss in seiner Sitzung am 18.07.2023 die Umsetzung der QuartierPflege zur Gestaltung kleinräumiger pflegerischer Versorgung.

Beschluss der Stadt Landsberg

Fotograf: Julian Leitenstorfer, Landkreis Landsberg am Lech

Mit nur einer Gegenstimme empfahl der Sozialausschuss der Stadt Landsberg die Umsetzung des Projektes. Der Stadtrat beschloss daraufhin am 22.09.2023 mit 31 zu 4 Stimmen die Umsetzungen in den nächsten Jahren.

Unterzeichnung Kooperationsvertrag am 6. Februar 2024

Personen von links nach rechts:
- Erich Püttner, Pflegebeauftragter und stellvertretender Landratsamt
- Thomas Eichinger, Landrat
- Pajam Rais Parsi, Koordinationsstelle Senioren
- Doris Baumgartl, Oberbürgermeisterin
- Ulrike Degenhart, Persönliche Referentin der Oberbürgermeisterin
- Dr. Florian Kiel, Vorsitzender der Gesellschaft für Gemeinsinn