Zwiegespräch: Lebensstile der Generationen X und Y

Zwiegespräch zu viert

Cornelius

Ich stelle mir die Frage, ob sich das Handeln meiner Generation, also derjenigen, die jetzt in die Berufswelt starten, tatsächlich im Vergleich zu vorherigen Generationen unterscheidet.

Florian

Was kennzeichnet denn die Generation Y?

Cornelius

Es sind Menschen, die zwischen 1980 und 1995 geboren sind. Sie haben die Finanzkrise und den 11. September klar vor Augen. Die Schlagzahl der Krisen hat zugenommen. Vor allem sind sie nicht mehr zeitlich begrenzt, sondern bilden eine neue Normalität. In dieser Unsicherheit sind wir aufgewachsen. Sie ist Teil unseres Lebens. Sicherheit hingegen ist kein Ideal, kein Ziel mehr. Leben besteht für uns aus lebenslangem Lernen, aus projektbasiertem Arbeiten.

Dadurch hat die Generation Y ganz andere Erwartungshaltungen. Uns geht es nicht darum, eine feste Position anzustreben oder Karriere in Führungspositionen zu machen. Wir sind stattdessen inhaltsgetrieben und wollen einen Job, der Sinn stiftet, der die negativen Seiten der Trennung von Arbeit und Freizeit verschwinden lässt. Wir haben Lust zu arbeiten, und wollen gleichzeitig reichlich Freizeit.

Im selben Moment stellt sich mir die Frage, ob diese Erwartungen sich tatsächlich auf das tägliche Leben auswirken. Ich persönlich sehe da eine Schizophrenie: im Denken hat sich vieles verändert, im Handeln oft nur wenig.

Florian

Wie meinst du das mit der Schizophrenie?

Cornelius

Personalverantwortliche beschäftigen sich mit Angeboten für die Generation Y. Aber wenn ich mir die aktuellen Unternehmensstrukturen ansehe, hat sich wenig verändert. Auch die großen Unternehmensberatungen oder Anwaltskanzleien bekommen mit dem gleichen Geschäftsmodell nach wie vor die Talente. Hier herrschen Druck und Arbeitsbelastung. Es bleibt wenig Raum für Kreativität, Innovation und auch für das Privatleben.

Florian

Ich nehme sogar wahr, dass Menschen deiner Generation für mich glatter erscheinen. Sie sind weniger politikgetrieben, handeln weniger nach klassischen Wertmaßstäben. Zumindest weniger als ich das bei mir fühle.

Cornelius

Da würde ich widersprechen. Wir sind zwar nicht politikgetrieben. Dennoch hat die Generation Y starke Wertvorstellungen, die sich aber eher auf die individuelle Situation und das persönliche Umfeld beziehen. Aber auch hier beobachte ich zwei Seelen in der Brust unserer Generation.

Florian

Weil gesellschaftliche Veränderungen weniger stark mitschwingen?

Cornelius

Wir erkennen, dass sich unsere Lebensweise grundlegend ändern muss. Deshalb haben wir den Anspruch Bio einzukaufen, CO2 zu sparen und insgesamt weniger zu konsumieren. Aber trotzdem machen wir regelmäßig Urlaub, am liebsten in Asien oder Südamerika, und der SUV sieht ja auch ziemlich geil aus. Wir wären gerne Weltveränderer, jedoch nur, wenn wir uns dabei auch selbst verwirklichen können. Beides zugleich gelingt aber oft nicht und führt zu Handlungen, die für Außenstehende widersprüchlich wirken.

Florian

Ich nehme schon wahr, dass manche der jetzigen 30-jährigen Veränderung wollen. Da passiert mehr als in meiner Generation. Ich beobachte auch einen eher unternehmerischen Ansatz. Damit lässt sich tatsächlich etwas bewirken.

Cornelius

Ich finde man muss da aufpassen. Ideale zu leben ist nicht einfach. Mir selbst gelingt es nur bedingt ein einigermaßen nachhaltiges Leben zu führen. Das ist eine riesige Herausforderung. Dabei suche ich lediglich Dinge heraus, die ich umsetzen kann. Ich versuche nicht den Schein aufrechtzuerhalten, dass ich ein Ökotyp bin. Und trotzdem fühle ich mich jeden Tag in der Zwickmühle zwischen Haltung und Handlung. Das ist es, was ich mit schizophren meine. Die einen werden Zyniker und die nächsten blenden die Widersprüche aus. Und trotzdem glaube ich, dass sich Dinge verschieben. Statussymbole verlieren zum Beispiel an Bedeutung und das „Sharing“ von Gütern und Dienstleistungen nimmt zu.

Florian

Aber diese Ansätze bleiben ein Nischenphänomen. Denn die Elite der Generation Y, die geht doch ähnlich wie wir damals nach klassischen karriereorientierten Mustern vor.

Cornelius

Unsere Eltern haben uns sehr früh klar gemacht, dass wir in einer kompetitiven Welt leben. 60 Prozent meiner Generation haben einen Uni-Abschluss. Zwar stehen uns alle Türen offen, aber letztlich bewegen wir uns in einem globalisierten Arbeitsmarkt. Daher auch die Nachhilfe, der Ballettunterricht und die Klavierstunden. Im Grunde hatten wir keine Kindheit.

Florian

Genau das meine ich mit klassischen Karrieremustern, die vielleicht sogar stärker ausgeprägt sind als bei den jetzt 40-jährigen.

Cornelius

Es stimmt, dass meine Generation mit dieser Prägung in die Ausbildung hinein geht. Sie muss aufgrund des Wettbewerbs sehr zielorientiert sein. Aber in dem Moment, wo wir auf den Arbeitsmarkt kommen, ändert sich etwas. Denn viele erfahren in ihren Jobs keine Sinnstiftung mehr, plötzlich sind wir von Zweifeln beherrscht. Wir leben schließlich noch in den alten Strukturen und fragen uns, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Das erklärt meines Erachtens die Zerrissenheit von vielen. Schließlich wäre das Potential der Sinnstiftung echte Veränderung durchzusetzen. Und diese findet aktuell noch nicht statt.

Florian

Den Druck, einen guten Lebenslauf haben zu müssen, das habe ich vielleicht mit Glätte gemeint. Die Freiheit etwas neben der Spur zu tun, die ist nicht mehr da. Das wirkt normierend, irgendwie angepasst.

Cornelius

Das stimmt schon. Wir engagieren uns nicht im alten System: nicht im Verein oder in einer Partei. Aber wir engagieren uns themenbezogen. Ich glaube, dass die Gesellschaft noch keine Antworten darauf gefunden hat, dieses Potential zu nutzen und in den politischen Prozess einzubinden. Das Problem kann man nicht einfach abwälzen, aber die Generation Y selbst ist ja noch nicht an den Schalthebeln der Macht angelangt. Eigentlich ist es eure Aufgabe, Florian, eine Struktur zu schaffen, damit unsere Generation gut wirken kann.

Florian

Das ist einfach gesagt. Aber ich bemerke auch, dass meine Generation nicht gerne Veränderungen anstößt. Die ZEIT hat im September 2014 einen Artikel dazu veröffentlicht. Da steht: „Die Generation der 35- bis 45-Jährigen, wollen auf keinen Fall auf etwas hereinfallen oder die Folgen eines Vorschlags nicht absehen können. Schlau sind die Geschmeidigen, die sich den Ausstieg offenhalten. Dumm sind die, die sich festbeißen, mit dem Kopf durch die Wand wollen“.

Dieses Verhalten lässt sich aus den 90er Jahren gut herleiten. Damals gab es große Versprechungen, die schönsten Marketingkonzepte. Und gleichzeitig ist der Sozialismus kollabiert, die Mauer einfach binnen Tagen verschwunden. Ich habe die Freudentränen live im Fernsehen gesehen. Kurz danach sprang der Neoliberalismus aus dem Gewand der sozialen Marktwirtschaft heraus. Erst als Herold kommenden Glanzes und dann als Unhold im Gefolge der Globalisierung. Keines der Loblieder hat sich erfüllt. Die riesige Euphorie kurz nach der Deutschen Einheit wich einer großen Ernüchterung kaum fünf Jahre später. Meine Generation hat gelernt, niemandem zu trauen. Daher rührt die abwartende Haltung.

Darüber hinaus haben Teile meiner Generation das Diskutieren verlernt. Auch dafür hat die ZEIT eine Erklärung: „Solange man sich als Fragender emphatisch, witzig, zugewandt verhält, stimmt die Atmosphäre. Das Pingpong läuft wie von selbst. Sobald man aber das Ungesagte anspricht, die Unstimmigkeiten aufgreift oder gar Urteile herausfordert, passt es nicht mehr.  Die kommunikative Offenheit, verdeckt eine austernartige Verschlossenheit.“ Genau an diese Grenze bin ich häufig gestoßen. Ich selber war früh politisch engagiert; ich bin quasi mit Waldsterben und Klimaveränderung aufgewachsen. Darüber habe ich mit Gott und der Welt sprechen wollen, stieß aber auf genau diese abwehrende Haltung. Ich selbst war zu direkt, zu kritisch, um im gewohnten Gesprächsrahmen zu bleiben.

Cornelius

Bist du so politisch gewesen oder war es deine ganze Generation?

Florian

Nein, ich war politisch. Ich war derjenige, der durch die Wand wollte. Ich hielt Umwelt für ein Riesenthema ist. Es war für mich einfach nicht verhandelbar. So wie heute Bienen sterben, ging damals der Wald ein. Trotzdem hat es nie dazu geführt, dass sich Menschen der Generation X auf diese Aussagen verlassen hätten. Die mögen es gespürt haben, aber sie haben es nicht geglaubt.

Für mich war das schlicht eine Frage von richtig oder falsch. Beispiel Bienensterben: Es werden Pflanzensamen mit Pestiziden gebeizt und dann in den Boden geblasen. Dadurch entstehen Abwinde, die ganze Bienenvölker töten. Da muss ich nicht mehr abwägen. Ich muss nur noch überlegen, wie ich das eindämmen kann, ohne die Landwirtschaft zu stark zu beeinträchtigen. Ein Lavieren nützt da nichts.

Aber solange die anderen nicht mitziehen, mache ich eben auch nichts: das ist der Wahlspruch meiner Generation. Keiner will verlieren und plötzlich lavieren alle. Und jeder Skandal um Bio-Eier und Massentierhaltung befeuert die alten Erfahrungen. Warum soll ich die Biogurke aus Spanien kaufen, die der eingewanderte Nigerianer unter härtesten Arbeitsbedingungen geerntet hat?

Cornelius

An dem Beispiel möchte ich einen Generationsunterschied festmachen. Die Generation Y ist optimistisch. Wir sind geprägt durch Krisen und trotzdem finden wir für uns individuell einen Weg. Wir stellen nicht einfach politische Forderungen, noch ziehen wir alles in Zweifel. Vielmehr wollen wir das Gute sehen und uns dafür einsetzen. Und zwar mit Leidenschaft.

Florian

Das würde ich meiner Generation auch zugutehalten. Das ist letztlich nur ein Unterschied des Alters. Du bist zehn Jahre jünger und offener. Ich hingegen bin zehn Jahre weiter und bewerte etwas zurückhaltender.

Cornelius

Trotzdem nehme ich Menschen in deiner Generation zum Teil als krasse Karrieristen wahr, die ihren persönlichen Nutzen maximieren wollen und wenig Ideale haben. Meine Generation hat zumindest ein Gespür für Gerechtigkeit, für Toleranz, für verschiedene Lebensentwürfe und Sinnstiftung. Da gibt es schon eine Entwicklung.

Florian

Noch einmal dazu die ZEIT: „Die Zukunft gehört den Virtuosen des Augenblicks“. Meine Generation bewegt sich bei Bosch, bei Daimler oder wie ich damals bei Volvo. Wir suchen den richtigen Augenblick, um die Karriereleiter weiter emporzusteigen. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum die Kanzlerin dem Zeitgeist so entspricht. Sie sitzt das nicht aus wie Kohl das tat, sondern sie laviert und wartet. Sie ist eine Meisterin des Augenblicks.

Cornelius

Wie seid ihr denn groß geworden?

Florian

Du sagtest vorhin, wir wären nicht so optimistisch. Das mag angehen. Denn meine Generation  ist vielen Unsicherheiten ausgesetzt, die meine Eltern nicht kannten. Wir können nicht mehr auf Rente hoffen. Zwar geht es uns noch nicht schlecht. Aber der Augenblick ist gekommen, in dem Veränderungen sichtbarer werden. Tatsächlich verlieren die braven Bürger gewaltig an Boden. Große Teile der Mittelschicht sind nur noch gefühlt wohlhabend. Das weckt bisweilen schon den Zyniker in mir.

Cornelius

Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Generation X eine viel klarere Zielvorstellung hatte. Dadurch dass meine Generation Erfolg nicht mehr als klassische Karriere sieht, kommen wir gar nicht mehr in die Zyniker-Rolle hinein.

Florian

Das ist richtig.

Cornelius

Eure Generation hat in bestehenden Strukturen die schnellsten Karrierewege nach oben gesucht. Viele sind dabei gescheitert. Leute wie du, die noch einen anderen politischen Impetus haben, mussten sich neu erfinden. Ich hingegen würde mich nicht als frustriert wahrnehmen. Im Gegenteil, ich fühle mich privilegiert, alles ausprobieren zu können. Wir können uns so entfalten, wie das noch keine Generation vor uns konnte.

Florian

Für meine Eltern, die gesellschaftlich in die Mittelschicht aufstiegen, war dieses Freiheitsempfinden nicht typisch.

Cornelius

Aber deine Generation ist doch in einer stabilen Mittelschicht groß geworden, während in meiner Generation der Wohlstand schon zerbröselt. Heute differenziert sich viel stärker aus, wer gewinnt und wer verliert. Deswegen müsste eigentlich die Gegenthese lauten: ihr seid in Sicherheit groß geworden und nicht wir. Ihr seid die letzte Generation, wo es noch besser geworden ist. Und du gehörst zu einer Elite, bei der das der Fall ist. Die Leute, die wie du Meinungen prägen, die sind in Wohlstand und Sicherheit aufgewachsen.

Florian

Das ist eine Chimäre der CDU-Regierung, die seit 30 Jahren aufrechterhalten wird. Ich weiß gar nicht, wer oder ob überhaupt ein Politiker im dunkelsten Hinterzimmer der Republik dafür verantwortlich ist. Das wäre das größte Komplott unserer Zeit: der überwiegende Teil der Mittelschicht fühlt sich wohlhabend, wird aber eigentlich ärmer.

Ende Abrupt

Da Florian einen Termin hat, um die Bienen zu retten und Cornelius auf eine Tagung nach Berlin entschwindet...  Aber hier bleibt Raum zum Diskutieren, zum Mitreden. Dazu laden wir euch herzlich ein.

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